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Für Hansjörg Schneider

›Jetz bini völlig falsch gfahre‹, brummte, sanftmütig, Hunkeler.
Nein, brummte, sanftmütig, Hansjörg Schneider, derweil der Schriftsteller, der Erfinder des Kriminalkommissärs Hunkeler, unlängst, im Sommer 2015, einen Radiojournalisten in den Sundgau chauffierte, in eine der drei Provinzen Hunkelers.
›Jetz bini völlig falsch gfahre‹, brummte also – betreten scheinbar, doch auch amüsiert, wie es uns schien – Hunkeler; nein, Hansjörg Schneider, in der Reportage des Regionaljournals.
Und das haben wir gehört. Denn in der Tat ist das Dreiland, die Region Basel, wenig übersichtlich. Und ein Literaturtourist, der auf den Spuren Hunkelers wandelt (oder Hansjörg Schneiders), muss sich gut aufgehoben wissen. Und nicht eine Fahrt, eine Literaturwanderung (mit Fotoreportage) bieten wir hier an. Gewidmet dem Schriftsteller Hansjörg Schneider, dem Pirol und nicht zuletzt: der fünften Jahreszeit.

Hunkeler und der Pirol


(Bild: duden.de)

›Di dudlio‹, laut Vogelbuch, weiss Hunkeler…
(Bild: srf.ch)

Hansjörg Schneider
(Bild: theater88.ch)

Aber in Sachen Irrung und Verwirrung könnte man kann auch von einem Vorzug sprechen (und glücklich ist die Stadt, die Region, nein, das Land, das sich in einer Serie von Kriminalromanen aufgehoben weiss, wie das Dreiland in der Serie der Hunkeler-Krimis von Hansjörg Schneider; in denen der Fortgang der Ermittlung weniger von Bedeutung ist als die Millieuschilderung; und – in der Tradition von Simenon und Glauser – der Einblick in die menschlichen Verhältnisse).
Im Dreiland verschwimmen nämlich die Dinge, verwischen sich Grenzen, verschleifen sich Farben und durchmischen sich Gerüche, in den drei Provinzen Hunkelers, dem Sundgau, der Stadt Basel mit Agglomeration, und dem grenznahen Badischen. Man kann sich verlieren, trefflich verlieren, und herrlich treiben lassen, durch die drei Provinzen Hunkelers (im Sundgau, ganz im Speziellen aber obacht, denn man fährt hier nicht nur gemächlich, sondern mitunter wie der Teufel); und man kann zu sich selbst vielleicht auch finden und bei sich selbst sein. Bei seinen Erinnerungen, seinen Luftschlössern und Phantasmagorien, die mit Hunkeler, mit Schneider wenig, vielleicht auch gar nichts zu tun haben müssen. Das Dreiland drängt sich, in der Regel, nicht auf.

Rapsduft, Rapsluft haben wir geatmet, so schien es (es ist die Zeit der Aussaat), und später – im Vorübergehen – den Duft eher städtischer Gräser gerochen. Und Curryküche gesehen und gerochen, später, beim Theater, im Zentrum der Stadt.
Es schien uns auch, als ob wir auch erfahren haben, was es mit der fünften Jahreszeit auf sich hat, von der Kurt Tucholsky geschrieben hat. Mit jenen Tagen, wenn sich der Sommer erschöpft hat und kurz Stillstand herrscht, und dann, plötzlich, der Herbst da ist. Mit jener fünften Jahreszeit, die zwischen den Zeiten liegt (aber man ahnt heutzutage, dass, vielleicht, der Sommer, um Weihnachten herum, nochmals frech von sich reden macht).
Bedrohliche Wolkenfelder zogen jedenfalls dahin. Wind kam auf, und die Vögel legten sich in den aufkommenden Wind hinein. Aber war es schon soweit, war der Herbst da, als uns ein Regenschauer veranlasste, unter Bäumen Schutz zu suchen, und wir im Schutz der Bäume den Pirol gesehen haben (wenn auch keinen echten)?


»Wie ich mit dem Rad zum Spitzwald gefahren und ins elsässische Neuwiller gewandert bin
und mir dabei die nächsten Szenen ausgedacht habe.«

(Bild: DS; gen Neuwiller; Zitat: Nilpferde unter dem Haus, S. 109f.)

Und auf eine literarische Wanderung haben wir uns, zweimal, begeben. Eine Wanderung, die natürlich ins Territorium von Hunkeler führt. Aber dies ist bloss die eine Seite der Wanderung. Denn diese Wanderung führt überhaupt ins Territorium des Schriftstellers Hansjörg Schneider, der 1969, wandernd vom Spitzwald nach Neuwiller, Szenen des Theaterstücks Sennentuntschi entwickelt hat (und in seiner Dichterklause, in Neuwiller, dann aufgeschrieben hat).
Und wir können zwei Dinge erleben, auf unserer Wanderung, nämlich das Territorium Hunkelers, das oftmals pittoresk ist und verwinkelt, und an und für sich, auch oberflächlich, interessant ist. Und wir können durch Räume wandern, die uns mitunter eher leer erscheinen mögen, aber, wenngleich weniger pittoresk auf den ersten Blick, doch eben jene Räume sind, in denen wir auf uns selbst zurückgeworfen sind. Auf Erinnerungen und Obsessionen, vielleicht. Und zurückgeworfen sind wir dann mitunter auf eigene Lebensfragen, die auch am Ursprung literarischer Schöpfungen stehen mögen.

Mit dem Sennentuntschi, der Zentralfigur einer alpinen Sage, hat diese Wanderung, oberflächlich betrachtet, wenig zu tun. Nichts verweist im Allschwiler Wald auf alpine Szenerien. Maisfelder passieren wir, sehen Grasböschungen, orientieren uns an Waldlichtungen, Waldformationen und -rändern, mit einem Wort, wandeln auf dem Herrenweg, zwischen Allschwil und Neuwiller. Herkommend von Basel. Oder herkommend von Oberwil. In beiden Richtungen lässt sich diese Wanderung machen (die wir, dementsprechend auch zweimal gemacht haben, in beiden Richtungen). Und auf alle Fälle können wir Orte passieren, die man literatische Kraftorte nennen könnte; Orte, die nicht aufdringlich sind und darauf drängen, von sich reden zu machen. Sondern uns in Ruhe lassen, Stille bieten (vielleicht, wenn nicht ein Flugzeug den Himmel, im Steigflug, emporkriecht), und einen Wanderer zu sich selbst kommen lassen, der auch hienieden auf Erden genug zu denken findet.
Und Hunkeler Territorium ist hier eben auch. Wenn wir genug davon haben, auf uns selbst zurückgeworfen zu sein. Und Pittoreskes, am Wegrand, wieder sichtbar wird.

*

»Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.
Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.«
Kurt Tucholsky


Möglicher Startpunkt I: Spitzwald oder Pittoreskes Dreiland I: der Allschwiler Wasserturm; Klänge mischen sich hier: ein Hahn kräht, vom Wald her das Lärmen der Pfadfinder; in der Nähe: Musiker testen ihr neuestes Equipment, psychedelischer Mix; das Restaurant Spitzwald geschlossen, vor der Neueröffnung stehend (alsbald?) (Bild: DS)

Möglicher Startpunkt II: Beim Gymnasium Oberwil; ›ob Regen kommt?‹, frägt Hunkeler… (Bild: DS)

Literarische Kraftorte, zwischen Neuwiller und Allschwiler Wald; still-philosophische Pferde, auf sich selbst verwiesen, teilweise mit Scheuklappen (oder Augenblende)
(Bild: DS)

Der Herrenweg (Kraftort? Ein Modewort, murrt Hunkeler) (Bild: DS)

»Der Pirol ist der letzte Zugvogel, der bei uns eintrifft. Er ist auch der Erste, der wieder abhaut. Man sieht ihn nicht, da er sich oben in den Laubkronen aufhält.
Sein Flöten wird im Vogelbuch mit ›di dudlio‹ umschrieben. In Wirklichkeit kling es ganz anders. Ein voller, sonorer Klang, weich wie eine Oboe.«

(Bild: DS; Zitat: Nilpferde unter dem Haus, S. 203f.)

Dreimal Dreilandhimmel; I: Klassischer Expat-Blues (also sprach Hunkeler) (Bild: DS)

II: Stairway to Dreilandhimmel… (ach, ›stairway‹ heisst ja nicht ›Leiter‹, hier irrt Hunkeler; ein Turm bietet dem Auge Halt) (Bild: DS)

III: Obstbaum mit Wolkenkrone; Dreilandhimmel über Gymnasium… (doch wer hat bloss dieses Gymnasium dorthin…, und hier schweigt Hunkeler) (Bild: DS)

Schlusspunkt: Dreiland psychedelisch (Büffelherde in Bewegung, im ehemaligen Schiessstand Allschwiler Weiher) (Bild: DS)

Pittoreskes Dreiland II: Irregulär auftretender Hohlraum im Untergrund, mustergültig gesichert
(Bild: DS)

Literatur:

Hansjörg Schneider, Nilpferde unter dem Haus, Zürich 2012

Kurt Tucholsky, Die fünfte Jahreszeit, in: Ausgewählte Werke, Bd. 3, Reinbek 1960


Blick auf Neuwiller, erneut: still-philosophische Pferde; im Hintergrund der Wasserturm von Schönenbuch (Bild: DS)

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Zuletzt geändert am 10 September 2015 19:47 Uhr
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