M
I
C
R
O
S
T
O
R
Y

O
F

A
R
T





........................................................

NOW COMPLETED:

........................................................

MICROSTORY OF ART
ONLINE JOURNAL FOR ART, CONNOISSEURSHIP
AND CULTURAL JOURNALISM
........................................................

INDEX | PINBOARD | MICROSTORIES |
FEATURES | SPECIAL EDITIONS |
HISTORY AND THEORY OF ATTRIBUTION |
ETHNOGRAPHY OF CONNOISSEURSHIP |
SEARCH

........................................................

MICROSTORY OF ART
ONLINE JOURNAL FOR ART, CONNOISSEURSHIP
AND CULTURAL JOURNALISM
........................................................

***

ARCHIVE AND FURTHER PROJECTS

1) PRINT

***

2) E-PRODUCTIONS

........................................................

........................................................

........................................................

FORTHCOMING:

***

3) VARIA

........................................................

........................................................

........................................................

........................................................

........................................................

***

THE GIOVANNI MORELLI MONOGRAPH

........................................................

MICROSTORY OF ART
ONLINE JOURNAL FOR ART, CONNOISSEURSHIP AND CULTURAL JOURNALISM

HOME

MICROSTORY OF ART

MICROSTORY OF ART
ONLINE JOURNAL FOR ART, CONNOISSEURSHIP AND CULTURAL JOURNALISM


Für Cy Twombly

›Kraftort‹, ›Ort der Kraft‹. Ein Modewort? – vielleicht.
Sicherlich ein Traum des Städters und der Städterin.
Doch Vorsicht! – Wer sich, als ein Zivilisationsmüder, an einen Ort der Kraft begibt, an einen Ort, von dem eine beruhigende, kräftigende Wirkung ausgehen soll, wird sogleich lernen, dass Orte der Kraft städtische Nervosität nicht nur anziehen und gleichsam an sich binden, sondern überhaupt Sammelpunkte, Versammlungsorte städtischer, entspannungsbedürftiger Nervosität sind. Die dem Picnickorb, sozusagen, sogleich entsteigt und dergestalt, in der Umgebung des Kraftorts, in Umlauf gesetzt wird (vielleicht wird Nervosität so auch neutralisiert, das können wir nicht wissen, denn eine diesbezügliche Erhebung hat noch nicht statt gefunden).
Wer von Seen träumt, im Wald verborgen unter Tannen, von verschattenen Lauben und stillen Winkeln, dem werden sogleich die Ohren klingen, von Gesprächen über Finanztransaktionen, Vorsorgeuntersuchungen, verstandestötenden Vorstandssitzungen und dergleichen.
Es ist also Publikum hier, und auch von künstlerischen Interventionen ist der Kraftort, den wir besucht haben, nicht frei (wo Publikum ist, folgt auch Spektakel, so leise und behutsam es auch daherkommen mag). Und wo Publikum ist, muss es, zweifelsohne, auch Regeln geben. Die Intervention ist also zu beachten. Gefüttert werden, dürfen die Fische (die nicht Teil der Intervention sind) nicht.

Den eigentlichen Kraftort wird man daran erkennen, dass er abseits liegt. Dass man ihn erst suchen muss (und oft steigt man dabei auf, muss in die Höhe klettern, gar zum Höhlenbewohner werden, denn Schallisolierung tut not). Oder daran, dass es ihn, ausserhalb der eigenen Vorstellung, vielleicht gar nicht gibt.
Und vielleicht ist dies ein Grund, warum wir Bilder benötigen, von Arkadien, dem Urbild des Kraftorts, dem Kraftort schlechthin, denn viel wichtiger als der Kraftort selbst scheint die Idee davon zu sein, die sich auch aktivieren lässt, zum Beispiel während einer Vorstandssitzung (wer wir eine solche haben). Oder dergleichen.

Kraftort Arkadien


(Bild: lempertz.com; kleines Bild, oben: nytimes.com)

Cy Twombly’s Arcadia (1958) ist ein Bild, für das ich mich nicht sogleich begeistern kann. Doch es ist nun einmal hier, nun gut, und auch wir sind nun einmal hier (man denke sich eine Cy Twombly Ausstellung). Und auch städtische Nervosität ist hier, ist unser Begleiter, ist in uns (o weh!).

Cy Twombly’s Arcadia (1958) – existiert überhaupt ein Konsens, dieses Bild eine Gemälde zu nennen? (fragt, hyperkritisch, städtische Nervosität, denn städtische Nervosität, ist immer misstrauisch, ist immer auf dem Sprung, immer gleich aufbrausend, da sie sich – permanent – mit dem Verdacht trägt, an jeder Ecke betrogen und ausgenommen zu werden).
Städtische Nervosität wirft also, misstrauisch, einen Blick in die Begleitbroschüre. Doch diese Prosa, diese White Cube Prosa, macht städtische Nervosität nur noch nervöser. Es scheint, dass das Eigentliche darin gar nicht zur Sprache kommt, gar nicht zur Sprache kommen soll, vielleicht. Und das Eigentliche wären die vitalen Kräfte, die dem Kunstwerk vorausliegen, die sich also im Kunstwerk manifestieren, und denen wir begegnen können, vielleicht. So dass die Begegnung mit dem Kunstwerk zu einer vitalen, belebenden Begegnung werden kann, und nicht nur zu einer Lektion. Zu einer Begegnung, die uns begeistert, vielleicht auch ärgert, oder uns ärgernd belebt, und dergestalt, über einen Umweg sozusagen, über den Umweg eines Ärgers, begeistert.

Jedenfalls nicht bloss belehrt (denn das würde uns ärgern, wenn nichts anderes zurückbliebe, als ein Mehr an trockenem, kunsthistorischen Wissens, dargeboten in einer trockenen, neutralen Kunsthistorikersprache).

Denn belehrt werden wir. Über das Formale. Über künstlerische Verfahren. Und Strategien (weil das so in Mode ist). Über das historisch einigermassen gut abgesicherte. Über Bezüge. Kunsthistorische Bezüge zu kunsthistorischen Traditionen (Bezüge lassen sich einigermassen gut absichern, und wieso es sie überhaupt gibt, welche Kräfte… und Kräfteverhältnisse…, doch dies ist nicht die Frage).

Könnte es sein, dass diese Prosa, diese White Cube Prosa, vom Eigentlichen gar nichts weiss? Oder einfach die elementaren Kräfte, die am Ursprung eines Gemäldes liegen – die Lust, die Provokationslust, die Wut, die Freude, die Nervosität, den Freiheitsdurst, den sportiven Akt, die Liebe (zur Landschaft, zur Farbe, und ja, auch zum künstlerischen Verfahren – gar nicht kennt (und vielleicht nie gekannt hat)?


Cy Twombly, Arcadia (1958) (Bild: tate.org.uk)

Oder verlernt hat, danach zu fragen (weil Wissenschaft, auf überindividuelle Wahrheiten aus, danach nicht zu fragen wagt, weil die blosse Frage sogleich die andere Frage aufwirft: wie es sich nämlich, mit den besagten Kräften, will sagen: Leidenschaften, im Fragenden selbst verhält, und weil Wissenschaft, auf überindividuelle Wahrheiten aus, die abgesichert werden müssen, auch davon nichts wissen soll und kann. Und somit das Eigentliche verfehlt, die Kunst verfehlt (von Kunst im Grunde nichts wissen will).
Oder aber danach sich verzehrt. Denn in ihrer existenziellen Leere wirft White Cube Prosa eben jene die Fragen auf, von denen sie nicht sprechen will und kann. Derweil sie versucht, alles Existenzielle zuzukleistern, mit Hinweisen auf Traditionsbezüge und formale Verfahren. So dass der Grund bereitet wird, der Grund, der ein Werk letztlich doch zum Strahlen bringen kann (obschon städtische Nervosität, immer noch misstrauisch fragt, ob es sich überhaupt um ein Gemälde handele, das hier, im Schrein der Kunst, dem White Cube, dargeboten wird, wodurch eine Gewähr besteht, dass es sich um museumswürdige Kunst überhaupt handele, und dies ist ja… ist es die Hauptsache?).

Das Antidot zu White Cube Prosa sind jedenfalls die vorliegenden Interviews mit Cy Twombly, die natürlich White Cube Prosa ebenfalls alle gelesen hat. Aber in White Cube Prosa findet sich nichts von der Begeisterung, von der ansteckenden Begeisterung, die jedes Interview mit Cy Twombly ausstrahlt und auszeichnet, weil Cy Twombly von seiner Begeisterung überaus gerne gesprochen hat, und weil seine Antworten stets Begeisterung, ansteckende Begeisterung ausstrahlen, und diese Begeisterung sich nicht nur mitteilt, sondern Begeisterung gibt, weitergibt, sprich: teilt.
Und milde Gelassenheit sogar dann, wenn die üblichen Twombly-Klischees (Bezug zum Graffiti, an welchem Ort auch immer) zur Sprache kamen.

*

Rombegeisterung, zunächst. Von Rombegeisterung muss auch die Rede sein. Nicht weil auch diese in Interviews zum Ausdruck kommt, diese Hilfestellung benötigen wir nicht. Sondern bezüglich des Gemäldes Arcadia (1958).
Denn es fällt uns auf, dass Twombly, eben nach Rom gekommen, ›Roma‹ schreibt, und nicht, als ein Amerikaner, ›Rome‹.
Ist er bereits in Rom angekommen, bereits in der Stadt zuhause, die er, damals (laut Interviews, wir benötigen Bestätigung) geliebt hat.
Wer als Ankömmling ›Roma‹ schreibt, schreit nicht verzweifelt nach einem Arkadien. Denn Arkadien, gewiss, war Rom, damals, vor-damals, oder heute, freilich nicht (oder jedenfalls nicht überall). Aber dennoch das ›Paradies des Exilanten‹. Und was Städte auszeichnet, ist die Verdichtung menschlicher Aktivität, der ein Bedürfnis nach dem Komplementären, der Weite, Leere, Stille, Unbewegtheit, Sauberkeit, Langsamkeit etc. einhergeht.

Es muss Lust bereitet haben. Ein euphorischer Moment, so denken wir uns, muss es gewesen sein, in die Flächigkeit des Abstrakten Expressionismus, Buchstaben zu schreiben. Zu kritzeln. Zu kitzeln, im Grunde. Denn diese Geste hat etwas von der Lust, einen mürrisch-doktrinären Kunstpropheten am Bart zu zupfen. Neutraler mag man von künstlerischen Verfahren und Strategien sprechen, doch diese Neutralität ist leer.

Sicherlich, Schrift schlägt um in Strich, und Strich, grashalmähnlich, schickt sich, scheinbar an, Schrift zu werden, oder auch wieder nicht. Das scheint alles, was die Verfahrensweise angeht, richtig beschrieben. Aber jede Exploration, neutral gesprochen, blosser Verfahren, jede Exploration, zu der ein Künstler motiviert ist, hat einen Antrieb. Und dieser Antrieb kann nicht neutral sein, sondern hat, vielleicht, mit dem Ärger zu tun, in bestimmten Konventionen gefangen zu sein. Oder, eher, mit der Freude, eine Aussdrucksform gefunden zu haben, die in einer so barocken, sinneslustigen Stadt wie Rom besteht (vielleicht, auch deshalb, weil diese Ausdrucksform der Stadt selbst nicht fremd ist, doch ihrem barocken Charakter Komplementäres bietet). Eine Ausdrucksform, die nicht nur eine Frechheit hat und ist, sondern auch eine grosszügige Offenheit, Vorstellungsinhalte, sinnliche Erinnerung, insbesondere, in sich aufzunehmen und zu evozieren (und damit ziemlich barock ist, wenn auch eher heimlich, weil das Minimum das Twombly gibt, die blosse Chiffre Gras zum Beispiel, mit den Vorstellungsinhalten schlichtweg jedes Betrachters und jeder Betrachterin lädt).

So dass Arcadia, nicht bloss als ein Ereignisort formaler Innovation dargeboten werden, sondern als ein veritabler Kraftort wirken kann. Der daran erinnert, dass die Vorstellung von Arkadien mit Verzweiflung zu tun haben kann (aber nicht muss). Arcadia (1958) mag dem Vorstandsvorsitzenden wie eine übergrosse Reproduktion seiner verzweifelten, während der letzten Vorstandssitzung angefertigten Kritzelei erscheinen, oder dem frechen Schüler, der, anders verzweifelt, seine Vorstellung vom Anderswo in eine Bank geschnitzt hat, oder dem Graffitikünstler, der ein paar Sonnenstrahlen setzt, auch da, wo es nicht schön ist.

Arcadia (1958) kann als ein Manifest der Lust gelesen, sprich gesehen sein. Und die Vorstellung von Lust mag sich dort einstellen, wo bereits Lust ist.

Aber auch dort, wo sie gerade nicht ist (ein Fleck ist da, im Bild, der sich über die grashalmähnlichen Striche gelegt hat, sie gleichsam überzieht, wie der Abdruck eines Körpers, der nicht im Bild, der schon woanders ist).

Und damit kann Arcadia (1958) als ein Manifest der Lust gesehen sein, das darin erinnert, dass einmal Lust war, die noch evoziert werden kann, als Erinnerung von Lust, die vielleicht schon im Moment der Lust, in Arkadien selbst, selbstredend, umgeschlagen ist, in ein Bewusstsein von Vergänglichkeit. Weil sich, in Arkadien selbst, im Moment der Lust, auch schon die Erkenntnis meldete, dass der Lust die Dauer fremd ist.

Und so ist Arcadia (1958) das alles, und in der Summe ein Kraftort der von Lebenslust, von Lust an Landschaft spricht (und von der Vergänglichkeit, selbstredend), und doch sich selbst verbirgt, ein Kunstwerk, das vom Gerede zugekleistert werden will, so scheint es. Weil es nur so seine eigentliche Kraftwirkung entfaltet. Indem es – White Cube Prosa wird sein eigentliches Sprachrohr – nachdrücklich (und ex negativo) nach den Kräften fragt, die einen Schüler zum Kritzeln, Zukleistern, zum frechen Vertuschen animieren mögen (und den Mann, der einmal Schüler war und sich im Gras, im Sand der Dünen gewälzt hat, zum gedanklichen Evozieren dieser Kräfte): Die Wut, die Sehnsucht, die Verzweiflung und die Liebe. Erlebt, ersehnt oder erinnert (das Erleben, das Ersehnen).

Von all dem spricht auch White Cube Prosa, scheint es uns, nämlich indem sie davon schweigt. Kongenial schweigt, und damit Arcadia (1958) von Cy Twombly kongenial ist.

Das ein Gemälde ist, das sich nicht aufdrängt. Das ein Gemälde ist, für das ich mich durchaus begeistern kann.


Happy Arcadia, von Konstantin Makowski

MICROSTORY OF ART
ONLINE JOURNAL FOR ART, CONNOISSEURSHIP AND CULTURAL JOURNALISM

HOME


Top of the page

Microstory of Art Main Index

Dietrich Seybold Homepage


© DS

Zuletzt geändert am 21 November 2015 15:15 Uhr
Bearbeiten - Druckansicht

Login