MICROSTORY OF ART
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Dedicated to Schlaraffenleben
Schlaraffenleben
Ein sprachgeschichtlicher Ausflug – für einmal, denn diese Miszelle ist weniger einer Sache, denn einem Wort gewidmet: Schlaraffenleben.
Dieses erlesene, ja preziöse Wort – ich habe es im Titel eines Buchs verwendet (ja, Schlaraffenleben, ganz genau, und für einmal nicht: Schlaraffenland). Und es ist ja so selten, dieses Wort (und gerade deshalb fand es auch Verwendung, in einem Titel, siehe oben).
Aber woher stammt es denn, dieses seltene, seltsame, dieses gehaltvolle Wort, das vom idealen Leben, aber auch vom Zuviel des Ideals unterschwellig kritisch spricht, und wann und wie habe ich dieses Wort allenfalls gelernt und in meinem Wortschatzdokument abgespeichert? Die Antwort folgt hier auf dem Fuss und wird ins Bild gesetzt. Ein jeder Wortklauber und auch ein jede Wortklauberin darf seinen/ihren Teil dabei denken.
(Picture in title: abebooks.com)
Eins
»In der Abendkühle ging ich spazieren und befinde mich nun wirklich in einem neuen Lande, in einer ganz fremden Umgebung. Die Menschen leben ein nachlässiges Schlaraffenleben: erstlich haben die Türen keine Schlösser; der Wirt aber versicherte mir, ich könnte ganz ruhig sein, und wenn alles, was ich bei mir hätte, aus Diamanten bestünde; zweitens sind die Fenster mit Ölpapier statt Glasscheiben geschlossen; drittens fehlt eine höchst nötige Bequemlichkeit, so daß man dem Naturzustande hier ziemlich nahe kömmt. Als ich den Hausknecht nach einer gewissen Gelegenheit fragte, deutete er in den Hof hinunter. »Qui abasso può servirsi!« Ich fragte: »Dove?« – »Da per tutto, dove vuol!« antwortete er freundlich. Durchaus zeigt sich die größte Sorglosigkeit, doch Leben und Geschäftigkeit genug. Den ganzen Tag verführen die Nachbarinnen ein Geschwätz, ein Geschrei, und haben alle zugleich etwas zu tun, etwas zu schaffen. Ich habe noch kein müßiges Weib gesehn.
Der Wirt verkündigte mir mit italienischer Emphase, daß er sich glücklich finde, mir mit der köstlichsten Forelle dienen zu können. Sie werden bei Torbole gefangen, wo der Bach vom Gebirge herunter kommt und der Fisch den Weg hinauf sucht. Der Kaiser erhält von diesem Fange zehntausend Gulden Pacht. Es sind keine eigentlichen Forellen, groß, manchmal funfzig Pfund schwer, über den ganzen Körper bis auf den Kopf hinauf punktiert; der Geschmack zwischen Forelle und Lachs, zart und trefflich.
Mein eigentlich Wohlleben aber ist in Früchten, in Feigen, auch Birnen, welche da wohl köstlich sein müssen, wo schon Zitronen wachsen.« (Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, Kapitel 5 (gutenberg.spiegel.de); Bilder: Thgoiter/Saman (Panorama), Thorsten Hartmann)
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Zwei
»›Sir, wollt Ihr mir wohl sagen, wie Ihr heisst?‹ ›White heisse ich; das habt Ihr ja gehört.‹ – ›Und was seid Ihr?‹ – ›Oberingenieur der benachbarten Abteilung.‹ – ›Hat jemand von uns Euch dort etwas zu befehlen?‹ – ›Ich denke, nein.‹ – ›Nun, wohl! Ich heisse Bancroft und bin Oberingenieur der hiesigen Abteilung. Auch mir hat keiner von drüben etwas zu befehlen, selbst Ihr nicht, Mr. White.‹ – ›Es ist richtig, dass wir uns gleichstehen‹, bestätigte White ruhig. ›Befehle vom andern anzunehmen hat keiner von uns beiden nötig. Aber wenn der eine sieht, dass der andere das Unternehmen schädigt, an dem beide arbeiten sollen, so ist es seine Pflicht, den Betreffenden auf seinen Fehler aufmerksam zu machen. Eure Lebensaufgabe scheint im Brandyfass zu stecken. Ich zähle hier sechzehn Menschen, die alle betrunken waren, als ich vor zwei Stunden hier ankam, und so –‹ – ›Vor zwei Stunden?‹ fiel ihm Bancroft in die Rede. ›Solange seid Ihr schon hier?‹ – ›Allerdings. Ich habe mir die Aufnahmen angesehen und mich darüber unterrichtet, wer sie gemacht hat. Das ist ja das reinste Schlaraffenleben hier gewesen, während ein einziger, und dazu der jüngste von euch allen, die ganze Arbeit zu bewältigen hatte!‹ – Da fuhr Bancroft zu mir [Old Shatterhand] herum und zischte mich an: ›Das habt Ihr gesagt, Ihr und kein anderer! […]‹« (Karl May, Winnetou I, Wien/Heidelberg 1953, S. 29; Bilder: youtube.com, beck-hobbyshop.de)
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Drei
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